Sehen verstehen

Augenoptik heute: Wie sich die augenoptische Beratung im Laufe der letzten 10 Jahre verändert hat

Volker Meyer und Heinrich Rath von der Fachhochschule Aalen im Gespräch mit BESSER SEHEN

20 März 2019
  • Augenoptik heute: Wie sich die augenoptische Beratung im Laufe der letzten 10 Jahre verändert hat
    Jane Doe - Fotalia.com

Im 13. Jahrhundert schufen italienische Mönche aus einem Bergkristall namens Beryll aus halbförmig geschliffenen Linsen den Vorläufer unserer heutigen Brillen. Sehr viel hat sich bis heute in der Entwicklung von Sehlösungen getan, immer besser und individueller können Sehprobleme gelöst werden, immer genauer sind die Messmethoden. Doch was sind die neuesten Entwicklungen und Trends im Bereich der Augenoptik? BESSER SEHEN befragte dazu zwei Dozenten des Studiengangs Augenoptik der Fachhochschule Aalen.

Augenoptik heute: Wie sich die augenoptische Beratung im Laufe der letzten 10 Jahre verändert hat

Volker Meyer, Augenoptikermeister, ist seit 1995 mit seinem Laden in Bruchköbel (nahe Frankfurt/Main) selbstständig. Er ist seit über zehn Jahren als Lehrbeauftragter an der Hochschule Aalen tätig und unterrichtet dort Betriebswirtschaft, Marketing sowie Beratung und Verkauf. Zudem ist er Referent an der Zeiss-Academy und führt verschiedene Erfa-Gruppen in der Augenoptik. /Heinrich Rath, staatl. gepr. Augenoptiker und Augenoptikermeister. Seit über 40 Jahren ist er in der Branche tätig und bekleidet viele Ehrenämter im Berufsstand (ZVA, Landesinnung etc). Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Aus- und Fortbildung in der Augenoptik. Seit drei Jahren hat er einen Lehrauftrag an der Hochschule Aalen, Fachbereich Augenoptik/Hörakustik.

BESSER SEHEN: Herr Meyer, Herr Rath, wie hat sich der Beruf des Augenoptikers innerhalb der letzten zehn Jahre verändert? Wie hat sich die Ausbildung verändert?

Volker Meyer: Wichtig ist, festzustellen, dass in den letzten zehn Jahren eine stärkere Differenzierung in der Augenoptik stattgefunden hat. Auf der einen Seite werden Brillen immer billiger angeboten, und auf der anderen Seite spezialisieren sich Augenoptikfachgeschäfte immer mehr und bieten höchste Qualität sowie ausgefeilte, individuelle Sehlösungen an. Ganz ähnlich, wie es auch in anderen Produktbereichen zu beobachten ist.

Ein zweiter Trend ist, dass sich manche Augenoptiker gezielt mehr auf Mode und andere auf Brillenglas-Technologie, d.h. Optometrie, spezialisieren.

Heinrich Rath: Die Spezialisierung auf Brillenglas-Technologie ist in diesem Maße machbar, da sich gerade in den letzten Jahren die Geräte weiterentwickelt haben. Die Möglichkeiten, immer präzisere Vermessungen vorzunehmen, haben sich enorm verbessert. Denken Sie beispielsweise an den i.Profiler® von ZEISS. Dieser Entwicklung muss die Ausbildung des augenoptischen Nachwuchses gerecht werden. Gleichzeitig kommen viele neue Produkte, wie spezielle Brillenglaslösungen und Fassungen, auf den Markt, die es immer mehr verlangen, gezielt mit dem Brillenträger seine individuelle Sehsituation zu analysieren, um die optimale Sehlösung zu definieren. Gerade mit der vielen neuen Technik wird eine umfangreiche Kundenberatung immer wichtiger! So kann man sagen, dass ca. 50% der Ausbildung und auch Abschlussprüfung sich mittlerweile bei uns auf das Handwerk und 50% auf die Beratung beziehen.

BESSER SEHEN: Inwiefern gibt es denn neue Produkte, die es früher nicht gab und die eine besondere Beratung bedürfen?

Volker Meyer: Das Sehen hat sich verändert, und Brillenglashersteller wie ZEISS reagieren natürlich darauf. Sie entwickeln darauf abgestimmte Sehlösungen. Generell spielt die Arbeit am Computer in unserer Gesellschaft eine zentrale Rolle, beim Autofahren verwenden wir ein Navigationsgerät, oder wir nutzen häufig Handys bzw. Smartphones. Das hat ein vielfältigeres Sehen zur Folge. Unsere Augen wechseln zwischen den einzelnen Sehentfernungen häufiger und schneller hin und her: Nahbereich zum Lesen, Zwischenbereich z.B. für den Computer und das Navi sowie das klare Sehen in die Ferne insbesondere beim Autofahren. Dies erfordert auch neue Anforderungen speziell an Gleitsichtbrillengläser, die mehrere Sehentfernungen in nur einem Brillenglas abbilden. ZEISS hat ein Brillenglasdesign für den Arbeitsplatz entwickelt, das speziell für die mittleren Sehentfernungen gezielt nach den Bedürfnissen optimiert werden kann. All das, damit der Brillenträger entspannter und besser sieht, und zwar genau in den Sehsituationen, in denen er sich häufig befindet.

Heinrich Rath: Ganz genau. Das bedeutet selbstverständlich, dass ich den Brillenträger ganz gezielt beraten muss. Eine Brille kann nicht alles abdecken, und ich muss mit meinem Kunden erörtern, ob er für wichtige Sehsituationen vielleicht eine Zusatzbrille benötigt: eine Sonnenbrille, Computerbrille oder Sportbrille.

Augenoptik heute: Wie sich die augenoptische Beratung im Laufe der letzten 10 Jahre verändert hat

BESSER SEHEN: Kann man sagen, dass durch eine bessere Technik (wie beispielsweise i.Profiler® und i.Terminal® von ZEISS) die Qualität der Beratung sich verändert oder sogar verbessert hat?

Volker Meyer: Die Messgeräte bieten viel mehr Möglichkeiten als früher, wenn ein Augenoptiker solche Geräte einsetzt. Dank des i.Profilers® können wir eine Messung mit Hilfe der Wellenfront-Technik durchführen. Wir erhalten ein genaues Profil jedes Auges – übrigens auch wie es sich beim Sehen mit weit geöffneter Pupille in Dämmerung und Dunkelheit verhält. Da können wir als Augenoptiker schon eine ganze Menge erkennen: nicht nur die Sehstärke, sondern auch andere Sehprobleme, wie beispielsweise einen beginnenden grauen Star. Bei Augenproblemen letzterer Art oder möglichen Erkrankungen raten wir dann den Kunden zu einem Besuch beim Augenarzt.

Augenoptik heute: Wie sich die augenoptische Beratung im Laufe der letzten 10 Jahre verändert hat

Heinrich Rath: Wir wollen als Augenoptiker möglichst exakt, aber auch natürlich nachvollziehbar für den Kunden arbeiten. Schließlich muss er genau wissen, was er an Leistung für sein Geld erhält. Mit dem i.Terminal® 2 passen wir die Brillengläser in die jeweilige Fassung ein. Dabei kommt es auf den Millimeter an. Gerade bei Gleitsichtgläsern ist es besonders wichtig, dass der Blick des jeweiligen Brillenträgers exakt in Nähe, Zwischenbereich und Ferne durch den Bereich geht, der dafür im Brillenglas angepasst wurde, um die Leistung des Glases voll auszunutzen und entspannt zu sehen.

Es kommt also auf die Geräte an, die exakt messen. Aber natürlich ist auch viel „Mensch“ und „Handwerk“ mit im Spiel. Als Augenoptiker muss ich die Messdaten lesen und anwenden können, das passende Produkt und die Veredelung heraussuchen, die Brillenfassung passend zu Typ und Sehanforderung auswählen und dann die Zentrierung und Anpassung der Fassung auf Nase und Ohren angenehm und passend vornehmen. Da habe ich wesentlich mehr Möglichkeiten als noch vor zehn Jahren! Über diese Details wird die Qualität erreicht, und hier unterscheidet sich der Massenbrillenmarkt oder auch eine Brillenbestellung im Internet vom Augenoptikerfachgeschäft, das sich auf Qualität fokussiert.

BESSER SEHEN: Sieht man denn heute besser als früher?

Volker Meyer: Ja! Wir Augenoptiker können den Kunden besser sehend machen. Aber leider auch schlechter durch die zunehmende Billigproduktion von Brillen - ich muss es so hart sagen. Die Technologie, Zeit der exakten Anpassung und der Individualisierungsgrad kosten einfach mehr Geld als einfache Lösungen. Eine Brille ist in Wahrheit niemals ein Standardprodukt, sondern immer ein Individualprodukt.

Heinrich Rath: Das können Sie schon daran festmachen, dass Sie das Produkt nie vorher testen können. Eine Brille muss erst gefertigt werden, und dann muss sie passen. Das ist die Kunst. Klappt es nicht, hat man zum Beispiel Kopfschmerzen, können an vielen kleinen Stellschrauben Fehler passiert sein. Vielleicht liegt es sogar nur an der Fassung, die vorher aus Metall und leichter war und nun aus Horn und zu schwer ist. Bis hin zu psychologischen Gründen, dass man mit seiner neuen Brille einfach nicht glücklich ist.

Volker Meyer: Und an die erste Gleitsichtbrille muss man sich einfach gewöhnen. Dabei hilft auch unser Gehirn! Nach einer Weile weiß es, durch welche Sehbereiche der Brille es wann blicken muss, um optimal zu sehen. Im Gegenzug kann man sich auch an „falsches Sehen“ gewöhnen, obwohl es besser geht. Man hat dann vielleicht von einer schlechteren Haltung Rückenschmerzen oder schöpft sein Sehpotenzial nicht voll aus. Bei allen diesen Punkten müssen wir als Augenoptiker individuelle Beratung leisten.

Heinrich Rath: Ein bekannter Professor hat damals, als die ersten Gleitsichtbrillengläser entwickelt wurden, gesagt: „Das Gleitsichtglas wird nicht angenommen werden.“ Damals waren die Bifokallinsen angesagt, die zwei Linsen auf einem Brillenglas haben und wo beim Sehen ein sogenannter Bildsprung entsteht. Jede Gleitsichtbrille hat physikalisch bedingt einen optisch undefinierten Bereich. Je nach Güte und Design der Gläser ist dieser größer oder kleiner. Der Professor wusste natürlich um dieses Thema, hat aber die Leistung unseres Gehirns nicht bedacht. Physikalisches Sehen ist nämlich nicht gleich Wahrnehmen. Heute sind Gleitsichtgläser bei Alterssichtigkeit das Brillenglas der Wahl und weit verbreitet.

BESSER SEHEN: Was meinen Sie, wo geht die Entwicklung in Sachen Brillen hin?

Volker Meyer: Die Entwicklung im Hinblick auf die Qualität von Brillengläsern und Brillenglasdesigns wird weiter voranschreiten. Da sind wir noch nicht am Ende. Sicherlich werden sich Gleitsichtbrillengläser noch verbessern können. Ich denke auch, dass sich im Bereich der Brillenglasmaterialien noch etwas tun wird, hin zu dünneren, leichteren Brillengläsern. Auch im Bereich der Silikat-Brillengläser, d.h. mineralische Gläser, gibt es noch Entwicklungspotential.

Heinrich Rath: Ich denke auch, dass wir im Bereich der phototropen, selbsttönenden Brillengläser noch nicht am Ende sind. Es wäre doch genial, wenn man irgendwann die Tönung des Brillenglases über eine App auf dem Smartphone anpassen könnte….


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